Reden ist Silber, Schweigen ist Gold - gilt das auch für den Urlaubsanspruch?

ArbG Chemnitz, Urteil vom 28.01.2018 - 11 Ca 1751/17

Der Fall:

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2015 beschäftigt. Bei der Beklagten besteht seit 2017 eine Anweisung zur Urlaubsnahme, die vorsieht, dass der Urlaub grundsätzlich zu Beginn des Jahres in einen Kalender eingetragen wird und erst eine Woche vor Urlaubsantritt ein Urlaubsschein zwecks Urlaubsgenehmigung beim zuständigen Vorgesetzten einzureichen ist.

In dem vom Vorgesetzten bestätigten Urlaubsplan 2017 war für die Klägerin auf ihren Antrag Urlaub vom 21.8. bis zum 8.9.2017 eingetragen. Die Klägerin beabsichtigte, in der Urlaubszeit zu heiraten. Die Klägerin erkrankte vom 31.7. bis zum 25.8.2017 und nahm ab dem 28.8.2017 Urlaub. Einen gesonderten Urlaubsantrag stellte sie nicht. Deswegen kündigte die Beklagte am 5.9.2017 das Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen klagte die Klägerin.

Die Lösung:

Die Klage ist begründet. Die Kündigung ist rechtsunwirksam und führte nicht zu einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Ein Fall der unzulässigen Selbstbeurlaubung liegt nicht vor. Der von der Klägerin beantragte Urlaub gilt durch das monatelange Schweigen der Arbeitgeberin und den vom Vorgesetzten bestätigten Urlaubsplan als genehmigt. Einer gesonderten Genehmigung durch die Beklagte sowie eines weiteren Urlaubsantrags der Klägerin bedurfte es nicht.

Die von der Beklagten aufgestellten Urlaubsbestimmungen halten einer AGB-Kontrolle nicht stand und sind unwirksam, soweit ein weiterer Urlaubsantrag kurz vor Urlaubsbeginn verlangt wird. Denn diese Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen, da sie mit wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Urlaubsrechts unvereinbar ist.

  • Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG sind bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange entgegenstehen. Bei kurzfristig entstehenden Urlaubswünschen des Arbeitnehmers würde dies bedeuten, dass diese von der Beklagten nicht berücksichtigt werden müssen, der Arbeitnehmer faktisch also bereits im laufenden Jahr für das komplette kommende Jahr seinen Urlaub festlegen müsste. Bereits dies widerspricht den Grundgedanken des BUrlG.
     
  • Jedenfalls ist der von der Beklagten verlangte kurzfristige Genehmigungsvorbehalt mit dem BUrlG nicht vereinbar. Der Arbeitnehmer hat danach bis eine Woche vor Urlaubsbeginn keinerlei Planungssicherheit, ob er gegebenenfalls mit seiner Familie den Urlaub überhaupt antreten darf. Das unternehmerische Risiko wird in unzulässiger Weise auf den Arbeitnehmer abgewälzt. Urlaub wird danach nur kurzfristig gewährt und auch nur dann, wenn es die Beschäftigungslage zulässt.
     
  • Somit gilt der erste Urlaubsantrag der Klägerin, der im Urlaubsplan vom Vorgesetzten eingetragen worden ist, nach Ablauf einer Frist von einem Monat durch Schweigen als genehmigt/bewilligt. Ein vertragswidriges Verhalten der Klägerin liegt nicht vor.

Hinweis für die Praxis:

Urlaub kann vom Arbeitgeber - mit Ausnahme von Betriebsferien - nicht einseitig angeordnet werden.

  • Stattdessen soll der Arbeitnehmer grundsätzlich selbst entscheiden können, wann und wie lange er Erholungsurlaub nehmen will. Diesem Urlaubsantrag ist stattzugeben, es sei denn, ihm stehen dringende betriebliche Gründe oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang genießen, entgegen (§ 7 Absatz 1 Satz 1 BUrlG).
     
  • Die Entscheidung muss vom Arbeitgeber auch zeitnah getroffen werden, damit der Arbeitnehmer seine Planungen abschließen, also etwa eine Urlaubsreise buchen kann. Denn nicht jeder Arbeitnehmer verbringt seinen Jahresurlaub zuhause.
     
  • Äußert sich der Arbeitgeber binnen einer angemessenen Frist nicht, ist in der Rechtsprechung bislang (noch) streitig, ob dann der Urlaubsantrag als genehmigt gilt oder nicht. Wegen des rücksichtslosen Vorgehens des Arbeitgebers in diesem Fall kann man sehr gut vertreten, dass sein Schweigen hier Zustimmung bedeutet.
     
  • Hier kommt noch Folgendes hinzu: Bei der Beklagten besteht wohl ein Betriebsrat. Gemäß § 87 Absatz 1 Nr. 5 BetrVG hat der Betriebsrat u. a. mitzubestimmen bei der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze. Dazu gehören auch Formalien zur Antragstellung, Fristen etc. Beachtet ein Arbeitgeber dieses Mitbestimmungsrecht nicht und legt einseitig Urlaubsgrundsätze fest, handelt er mitbestimmungswidrig. Sein Verhalten ist illegal. Der Arbeitnehmer ist nach der "Theorie von der Wirksamkeitsvoraussetzung" nicht verpflichtet, diese unzulässigen Vorgaben zu beachten. Einer AGB-Kontrolle hätte es dann durch das Arbeitsgericht nicht zusätzlich bedurft.